„Man muss immer eine Brücke in die Zukunft bauen“
HERR ZURMÜHLEN, WAS KÖNNEN SIE DER KOLLEGIN MIT AUF DEN WEG GEBEN: WIE BEKOMMT MAN ZWEI SOLCHE STANDORTE, DIE JA AUCH RELATIV WEIT AUSEINANDERLIEGEN, UNTER EINEN HUT?
Zurmühlen: Ich blicke insgesamt auf knapp 14 Jahre Standortleitertätigkeit in Knapsack zurück, und da bin ich auch ein bisschen stolz drauf. Erst war ich neun Jahre da – von 2003 bis 2011 – und bin dann nach Frankfurt gewechselt. Nachdem Knapsack sich ein bisschen verkleinert hat, weil wir Teile an die BASF abgeben mussten, kehrte ich dorthin zurück, weil wir die beiden Standorte Frankfurt und Knapsack unter einer Leitung vereinigt haben. Es kamen dann noch einmal gut fünf Jahre dazu. Und wie man das mit zwei Standorten auf die Reihe bekommt? Diese Komplexität und die dauernden Ortswechsel, das ist schon sehr anspruchsvoll. Man fühlt sich so ein bisschen wie ein Elektron im Orbital – immer irgendwo und nirgendwo. Deshalb bin ich auch ganz froh, dass ich das Amt jetzt, mit 63 Jahren, an jemand sehr Qualifizierten und an eine jüngere Kollegin weitergeben konnte.
WAS MACHEN SIE ZUKÜNFTIG?
Zurmühlen: Ich bin Projektmanager in einem strategischen Projekt. Wir kümmern uns um die Aufstellung der Produktion des Pflanzenschutzbereichs von Bayer für die nächsten zehn Jahre - mit dem Schwerpunkt auf Resilienz und Nachhaltigkeit. Das ist eine sehr spannende und interessante Aufgabe. Aber ich habe keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr und das ist auch eine Erleichterung.
UND TROTZDEM BLICKT MAN DANN AUCH EIN BISSCHEN MIT WEHMUT ZURÜCK.
Zurmühlen: Ja klar. Knapsack hat mich tief geprägt. Ich bin damals mit 42 Jahren Standortleiter in Knapsack geworden. Und die Herzlichkeit und Wärme der Menschen hier am Standort, auch der Karneval – das ist eben die Nähe zu Köln – das hat mich alles tief geprägt und ich habe hier sehr, sehr gerne gearbeitet und die Verantwortung wahrgenommen. Aber „The times they are a-changin“ hat mal ein Nobelpreisträger gesungen und jetzt ist es auch gut so. Nun arbeite ich aus dem Homeoffice, habe noch ein Büro in Frankfurt und bin ansonsten relativ häufig in unserer Firmenzentrale in Monheim.
DAS ERMÖGLICHT IHNEN, IMMER MAL IN DER ALTEN KNAPSACKER HEIMAT VORBEIZUSCHAUEN.
Zurmühlen: Ja. Aber ich werde da eher eine gewisse Zurückhaltung pflegen, es sei denn, ich werde gebraucht. Ich glaube, dass es der Entfaltung meiner Nachfolgerin dienlicher ist, wenn ich nun nicht mehr so häufig vorbeikomme. Wenn sie Rat braucht, dann kann sie ihn gerne holen. Ich glaube aber, sie ist ziemlich gut und entsprechend fertig in ihrer Entwicklung – sie kann das! Was meinst Du, Diane?
Carini: Es ist super einen Vorgänger zu haben, der noch im Unternehmen ist. Man bekommt Themen auf den Schreibtisch, wo man aus dem Bauch heraus zwar weiß, in welche Richtung es geht, aber oft ist eine ganz andere Historie dahinter. Von daher ist es schön, wenn man anrufen kann. In den ersten Wochen war jeder in Frankfurt, der Rang und Namen im Unternehmen hat, und so war ich mehr in Frankfurt und mit solchen Themen beschäftigt. Aber jetzt fängt immer mehr der normale Alltag an. Und bei manchen Themen merke ich dann, jetzt musst du mal bei Frank im Kalender schauen und einen Termin machen.
WAS SIND DENN IHRE ZENTRALEN AUFGABEN?
Carini: Das Prinzip Nr. 1 ist, jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin soll wieder so nach Hause gehen, wie er oder sie morgens zur Arbeit gekommen ist. Also sicheres Arbeiten, egal ob die Leute im Büro sind, im Betrieb oder draußen im Tanklager. Dann ist es meine Aufgabe als Standortleiterin, für den jeweiligen Auftrag, den wir bekommen, die jeweilige Menge in der richtigen Qualität und zum richtigen Zeitpunkt zu produzieren. Und die Aufgabe ist es auch, so wie Frank es auch sehr gut über die Jahre vorher gemacht hat, dafür zu sorgen, dass die Betriebe ein gewisses, attraktives Portfolio an Produkten haben. Das heißt, es geht auch darum, für Knapsack und Frankfurt immer wieder neue Produkte aus dem Bayer- Portfolio zu finden und – wenn wir ein Produkt haben möchten – mit den Kolleginnen und Kollegen von der Technik zu kalkulieren, was das bei uns kostet und uns in Monheim dafür zu bewerben. Dadurch sichern wir natürlich auch die Arbeitsplätze aller Kolleginnen und Kollegen.
ES SIND UNGEFÄHR 600 ARBEITSPLÄTZE IN FRANKFURT UND 140 HIER IN KNAPSACK. IST DA DIE ZEITAUFTEILUNG ENTSPRECHEND?
Carini: Ich würde sagen eher jeweils zur Hälfte.
WAS MOTIVIERT SIE ZU DIESER AUFGABE ?
Carini: Ich finde es spannend, Leute zu führen. Schon das erste Mal, als ich im Betrieb war, habe ich das als eine super Aufgabe empfunden – das motiviert mich. Ich komme aus sehr operativen Tätigkeiten. Ob es jetzt ein Betrieb ist, oder vorher die Logistik in Dormagen, wo es wirklich um eine gute Strategie geht und darum, eine gute Strategie für den Standort zu entwickeln: Wie mache ich den Standort fitter und immer besser, was hole ich für neue Produkte dazu, welche neuen Technologien. Und natürlich ist die richtige Personal-Strategie ein zentraler Punkt. Es ist eine der teuersten Fehlentscheidungen als Unternehmen, wenn man und immer besser, was hole ich für neue Produkte dazu, welche neuen Technologien. Und natürlich ist die richtige Personal-Strategie ein zentraler Punkt. Es ist eine der teuersten Fehlentscheidungen als Unternehmen, wenn man Leute einstellt, die nicht ins Team passen. Man muss sich genau überlegen, wie das perfekte Team aussieht, welche Charaktere man im Team hat, welche Fähigkeiten die Leute haben und wie man das mischen kann. Deshalb sind auch immer wieder intensive Diskussionen mit den Betriebsleiterinnen und Betriebsleitern wichtig, wie wir gemeinsam besser werden können.
DAS HEISST, MAN BRAUCHT EIN MINDESTENS EBENSO GUTES GESPÜR FÜR MENSCHEN WIE FÜR FACHLICHE THEMEN?
Zurmühlen: Und man lernt ja auch ständig dazu. Unsere Fachleute sind mir fachlich weit überlegen. Also wenn ich in Meetings gehe oder an einen Standort und den Eindruck vermittele, ich weiß am meisten, dann habe ich eine schlechte Zeit und ich stoße die Leute vor den Kopf. Ich muss akzeptieren, dass mir jede oder jeder in seinem Fachgebiet überlegen ist. Und dann muss man es irgendwie zusammenführen, das ganze Wissen, und muss, wie in einer Fußballmannschaft, ein Team bilden. Man muss die Leute nehmen, wie sie sind, auch wenn sie vielleicht in bestimmten Bereichen nicht ganz so stark sind – und damit gewinnt das Team trotzdem. Das ist die Kunst.
WAS WAREN DENN IHRE ERSTEN EINDRÜCKE HIER IN KNAPSACK?
Carini: Also ich habe es in den ersten sechs, sieben Wochen wirklich kaum geschafft, die Schichten zu begrüßen – vielleicht zwei-, dreimal – was wirklich sehr schade ist. Das kommt jetzt verstärkt. Aber eine Sache war von Beginn an ganz klar: Nämlich, gegen welchen Fußballverein man nichts sagen darf.
DAS KANN ICH MÖGLICHERWEISE ERRATEN – DER FC?
Carini: Genau, der FC. Und ich wohne halt in der verbotenen Stadt. Aber ich bin ja eine „Zugezogene“, keine Düsseldorferin. Und die dritte Frage, die man mir hier gestellt hat, ist, wie ich zu Karneval stehe. (lacht)
UND WIE STEHEN SIE ZU KARNEVAL?
Carini: Kulturell komme ich aus einer Gegend, die immer noch sehr, sehr geprägt ist von der Reformation, also Calvin in Genf und auch andere Reformatoren in Lausanne. Das ist eine Gegend, wo Karneval keine Rolle spielt – man kennt das Wort, aber das war’s. Als ich vor einigen Jahren am 1. Oktober bei Bayer angefangen habe, dachte ich irgendwann, ich müsste mir auch mal den Kölner Dom angucken. Ich habe damals in Leverkusen gewohnt und bin dann an einem Sonntag mit der Bahn nach Köln. Ich wusste nicht, dass das der 11.11. war, beziehungsweise welche Bedeutung das hatte. Das Erste, was ich gesehen habe, als ich aus dem Zug stieg, waren drei ältere Damen, die schon ein paar Pikkolos getrunken hatten, komplett verkleidet und sie kicherten wie junge Mädels. Und ich dachte nur: Was ist denn hier los? Und dann bin ich rausgegangen und habe gesehen, was am Dom los war. Das war mein erster Kontakt mit Karneval.
DAS NENNT MAN INS KALTE WASSER SPRINGEN.
Carini: Genau. Das war sehr lustig. Also ich war seither ab und zu Karneval feiern, aber das ist halt nicht so, wie manche Kolleginnen und Kollegen das tun, die eine Woche unterwegs sind.
Zurmühlen: Dann kommst Du mal mit zu einer Sitzung, ich bin ja noch Senator der Großen Knapsacker Karnevalsgesellschaft, ich lade Dich jetzt mal ein. Vielleicht können wir Dich überzeugen. Ich startete damals in der Verantwortung als Standortleiter gleich zu Beginn der Session. Und zu seinem Abschied wurden wir von meinem Vorgänger auf eine Karnevalssitzung eingeladen. Und wie der Spielmannszug reinkam, da war es um meine Frau und mich geschehen. Wir lieben den Karneval.
WIRD DIE ÜBERGABEPHASE ZWISCHEN IHNEN BEIDEN NOCH ETWAS WEITERGEHEN?
Zurmühlen: Nein. Die Übergangsphase war von Januar bis Ende März. Und wie gesagt, da haben wir uns auch abgestimmt. Die ist jetzt beendet und ich bin jetzt in meinem neuen Job. Die Verantwortung liegt ganz bei Diane.
WIE HABEN SIE ES GESCHAFFT, VON JANUAR BIS MÄRZ AUF DREI „BAUSTELLEN“ ZU SEIN?
Carini: Also es war schon sehr sportlich. Aber wir haben im Januar schon einige Themen abgehakt. Die Basics zu bekommen ist super, und danach gibt es Termine, die sind erst im September oder im Oktober, da lohnt sich noch kein richtiger Austausch. Da sagen wir, wenn was ist, ruf mich an. Auf der anderen Seite hat Frank über die Jahre hier an den beiden Standorten ein gutes Team aufgebaut. Das ist ja das Ziel einer guten Organisation, die könnten auch ein paar Wochen ohne Chef oder Chefin überleben.
Zurmühlen: Die Vorgesetzten mit dem Mikromanagement sind ohnehin nicht erfolgreich. Die Kunst ist, die Leute wirklich arbeiten und sich in ihrer Kreativität entfalten zu lassen. Dann sind sie auch glücklich mit ihrer Arbeit. Und ich glaube, da haben wir insgesamt bei Bayer in der Produktion ein ganz gutes Klima.
Carini: Ja, das meine ich auch. Also ich bin immer beeindruckt, wenn man Verbesserungsvorschläge bekommt oder neue Ideen. Die Kolleginnen und Kollegen auf den Schichten machen sich wirklich viele Gedanken. Das ist genau das, was wir brauchen. Und am Ende bedeutet das dann, wenn man das aggregiert: Ich kann meinem Chef in Monheim sagen, wir haben 50 Tonnen mehr geschafft von irgendeinem Produkt, oder die Qualität war jetzt super. Und das hilft uns allen!
ZUM ABSCHLUSS DIE OBLIGATORISCHE FRAGE: MIT WELCHEN ZIELEN SIND SIE ANGETRETEN?
Carini: Sagen wir mal so, ich habe Ziele, die vielleicht für das Unternehmen okay sind, aber nichts für den KNAPSACKSPIEGEL. Aber was ich kurz erwähnen möchte: Zwischen PSM 1 und PSM2 gibt es ein Gebäude, das PSM3 heißt. Und das ist zum Ende des Jahres eine leere Hülle. Das ist eine spannende Aufgabe sich zu überlegen, was man daraus macht. Natürlich haben wir Ideen. Das ist ja auch für mich ganz klar ein Ziel, aus dieser leeren Hülle etwas zu machen, sie mit Leben zu füllen.
Zurmühlen: Und im Vergleich mit einer Neuinvestition spart man etwa ein Viertel. Das ist natürlich eine gute Gelegenheit, um auch für neue Produkte zu werben.
Carini: Und dann geht es immer auch darum, das aktuelle Portfolio immer noch sinnvoll zu ergänzen. Es muss nicht immer etwas Neues sein, aber die Frage ist, wie man es schafft, den Betrieb wirklich komplett auszulasten.
Zurmühlen: Man muss immer eine Brücke in die Zukunft bauen. Wir haben das in den Nullerjahren gemacht. Da haben wir praktisch jedes Produkt in PSM1 und PSM2 ausgetauscht – alte Produkte gegen moderne. Und die laufen heute sehr erfolgreich. Und dabei muss man immer mal zehn oder 15 Jahre vorausschauen. Das ist jetzt ihre Aufgabe.
WIE STEHT ES DABEI MIT DEN THEMEN NACHHALTIGKEIT UND CO2-EMISSION?
Carini: Da kristallisiert sich ein Thema besonders heraus, was uns alle getroffen hat: Die Explosion in Leverkusen-Bürrig. Ein Verfahren zu optimieren in einem Betrieb heißt nicht immer, nur die Synthese besser oder schneller zu machen, sondern auch, wie wir mit Abfällen umgehen. Und wie kann man noch mehr recyceln? Die Abfälle aus der chemischen Industrie haben noch einen Wert. Ist das nur ein Brennwert oder kann man etwas Anderes daraus machen? Auch das gehört zur Strategie eines Betriebes.
Über Bayer in Frankfurt und Knapsack
Bayer beschäftigt im Industriepark Frankfurt-Höchst mehr als 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Rund 290 Beschäftigte stellen in zwei Produktionsbetrieben Wirkstoffe zur Unkrautkontrolle für den weltweiten Einsatz in der Landwirtschaft her. Darüber hinaus ist in Frankfurt die Herbizidforschung von Bayer ansässig. 330 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen in den Labors der chemischen und biologischen Forschung sowie in Gewächshäusern nach neuen Lösungen zur nachhaltigen Kontrolle von Unkräutern. In Knapsack sorgen über 140 Beschäftigte in zwei Produktionsbetrieben (PSM1 und PSM2) und einem Logistik-und Versandbetrieb für zuverlässige und sichere Arbeitsabläufe. Ein dritter Produktionsbetrieb (PSM3), der im Zuge kartellrechtlicher Auflagen bei der Übernahme des US-Saatgut-Herstellers Monsanto durch Bayer 2017 zusammen mit zwei weiteren Produktionsbetrieben in Knapsack (PSM4 und PSM5) an BASF veräußert wurde, wird derzeit bis zum Ende des Jahres 2023 durch BASF zurückgebaut (siehe auch KNAPSACK SPIEGEL 1/2023). Danach steht die Immobilie Bayer wieder zur Verfügung.
Über Diane Carini
Dr. Diane Carini wurde 1972 in Lausanne (Schweiz) geboren. Nach dem Diplom im Studiengang Chemie-Ingenieurwesen an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) im Jahr 1996 folgte die Promotion am Laboratorium für Technische Chemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ). Bevor sie im Jahr 2001 ihre Karriere als Ingenieurin in der Forschung und Entwicklung der damaligen Bayer Technology Services GmbH begann, widmete sie sich diversen Forschungstätigkeiten. Carini verfügt über breite und internationale Erfahrung in Engineering und Produktion und hatte Positionen als Betriebsleiterin für die Bayer-Divisionen Crop Science und Pharmaceuticals inne. Neben ihrer Arbeit liebt sie Outdoor-Aktivitäten wie Wandern oder Skifahren und ist eine leidenschaftliche Opernbesucherin. Diane Carini ist verheiratet.